Der Rat der Weisen im Kraftwerk: Im Bild die Auslosung der Räte

Ein „Rat der Weisen“ im Kraftwerk – Geht das?
Wir diskutieren heiß oben in einem Besprechungsraum oberhalb der Turbinenhalle, wo man noch das Vibrieren der Turbinen spürt. Die Stimmung ist aufgeladen. Nach einer Umstrukturierung wurden die Elektrotechniker und Leittechniker der Instandhaltung mit denen des Betriebes zusammengelegt. Die Frage im Raum ist, wie es gelingen kann, dass alle als ein Team zusammenarbeiten. Mir kommt die Idee hier einen “Rat der Weisen” zu moderieren. Da kann man mit Wenigen, einem Bruchteil der Menschen der ganzen Abteilung, die Probleme des ganzen Systems besprechen.
Intensiv diskutieren wir das Für und Wieder, die Hoffnungen und Befürchtungen. Plötzlich steht der Kraftwerksleiter auf und sagt: „Also, wer, wenn nicht wir können so einen Rat der Weisen machen! Und wer, wenn nicht meine Elektriker. Die wirklich genau abwägen müssen – liegt noch Strom an oder nicht. Wer wenn nicht die! Wir machen das! Wir machen einen Rat der Weisen in unserem Kraftwerk!“
Gesagt, getan. Und das Projekt nimmt Fahrt auf. Nach Vorstellungsschleifen beim Vorstand, Bereichsleitung und Betriebsrat kommt das Go.
Es ist der 23. Januar 2020. Wir wählen den größten Besprechungsraum, der im Kraftwerk zur Verfügung steht. Der Raum ist voll mit Blaumännern. Ungefähr 80-90 Mitarbeiter – fast alle aus den zwei Sachgebieten sind an diesem frühen Morgen gekommen. Wir sitzen in zwei großen Kreisen zusammen. Der Raum ist brechend voll. Ein Rat der Weisen bedeutet freiwillige Teilnahme: Wer ist bereit, seinen Namen in die Lostrommeln (ein leeres Motorgehäuse und ein Messumformergehäuse) zu werfen, um ein Ratsmitglied zu werden?
Nach einer Brandrede seitens des Kraftwerksleiter und einer kurzen Einführung in die Wirkweise eines “Rat der Weisen” und den Ablauf kommt der entscheidende Moment. Werden sich genügend melden? Die Spannung wächst. Kaum bin ich mit den erklärenden Worten fertig, stehen fast alle auf und werfen ihre Namen in die Trommeln. Sie wollen dabei sein, wollen mitgestalten und mitreden.
Die beiden Sachgebietsleiter losen die Ratsmitglieder aus. Am Ende stehen sie da: 12 Räte, die in einer gemeinsamen 2-tägigen Ratsversammlung in Klausur gehen. Stolz und Respekt vor der Verantwortung und Aufgabe sind fühlbar.
Und was werden das für zwei spannenden und heiße Tage. Intensiv wird diskutiert, einander zugehört, es wächst ein neues Miteinander. Schwer ist es noch, von alten eingefahrenen, vertrauten Paradigmen, von ganz vielen ICH’s zu einem gemeinsamen WIR zu kommen. Und es gelingt nicht immer.
Es dürfen nur einstimmig angenommene und entwickelte Thesen und Empfehlungen – das ist das Besondere an dieser Methode – später vorgetragen werden. Eine heiße Zeit, weit außerhalb der Tore des Kraftwerks, in einem Vereinsgebäude auf einem Sportplatz, man könnte sagen bis spät in die Nacht.
Und dann am 13.03.20, früh am Morgen, nach zwei intensiven Tagen, kommen wir alle wieder zusammen. Die Räte stellen den 70 anderen ihre Thesen und die Empfehlungen vor. Sie erzählen, was ihnen wichtig ist, was es aus ihrer Sicht braucht, um zu einem Team zusammen zu wachsen.
Genau das ist der entscheidende Punkt beim Rat der Weisen – jetzt das ganze System mit der Weisheit des Rates in Berührung und somit das ganze System gemeinsamen ins Schwingen und in Resonanz zu bringen.
Die Aufregung ist im ganzen Raum zu spüren. Das stehen 12 Männer, die noch nie vor so vielen Menschen einen Vortrag gehalten haben und nun etwas vorstellen, was sie für absolut relevant und wichtig ist. Im anschließendem World Café geht es heiß her. Es wird diskutiert, gezeichnet, gemalt und geschrieben. Es ist ein Summen im ganzen Raum – wie in einem Bienenstock. Und da sitzen die Jungfacharbeiter mit den älteren Kollegen zusammen, da sitzt der Meister neben dem Kraftwerksleiter, da sitzt der Instandhalter neben dem Betriebler, da sitzt der Elektriker neben dem Automatisierungstechniker und Netzwerktechniker. Da sitzen die Räte mitten drin und sie diskutieren, was sie in den zwei Tagen für relevant angesehen, gemeinsam mit ihren Kollegen herausgefunden haben.
Nach drei Runden World Café gibt es eine große gemeinsame Abschlussrunde – wieder im großen Kreis. Mein Sandstein dient als Redeobjekt. Alle wollen etwas sagen, es ist sehr bewegend und berührend. Alle Räte sprechen den Führungskräften Zeit zu, die Dinge zu betrachten, sie anzunehmen. Es kamen auch solche Sätze wie: „Wir haben uns noch nie so ausgetauscht.“ „Ich habe das erste Mal andere Kollegen kennengelernt, mit denen ich sonst immer nur telefoniere.“ Es ist, als ob da schon die Geburtsstunde eines neuen Miteinanders ist.
Nach anderthalben Jahren intensiver Prozessarbeit sitzen wir wieder zusammen – wegen Corona noch in einer kleinen Runde. Die alten Räte werden verabschiedet und entlassen. Es wird ihnen gedankt für ihre wertvolle Arbeit. Der Wandel von These 1: „Wir sind noch kein Team.“ und der Empfehlung der Räte dazu: „Lasst uns ein Team werden.“ ist im Raum spürbar, mit Sätzen wie: „Ihr habt zwar nicht alles so umsetzen können, wie wir das gewollt haben. Aber ich habe mich das aller erstemal wirklich das Gefühl gehabt, dass meine Meinung wichtig ist und mir zugehört wurde.“
Ein Rat der Weisen im Kraftwerk – mein Fazit: Es geht! Vertrauen Sie, holen Sie das Denken aller in den Raum. Hören Sie zu. Stelle Sie die richtigen Fragen. Es lohnt sich.
Sie wollen auch bei sich eine Rat der Weisen einberufen? Sprechen Sie mich gerne an: denkraum@katrin-sickora.de

Der Rat der Weisen - im Kraftwerk

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